Frauen

„Eine von wenigen Männern geleitete kirchliche Frauenbewegung“. Diese Bezeichnung findet der Historiker Manfred Gailus für die Bekennende Kirche (BK) und gibt an, dass mindestens drei Viertel aller ihrer Mitglieder in Berlin weiblich waren. Dabei war auch das Geschlechterbild der Bekenntnistheologen konservativ geprägt: Haus und Familie seien der „gottgegebene“ Wirkungsbereich der Frauen. Pfarrstellen und Leitungsgremien waren noch bis weit nach dem Zweiten Weltkrieg ausschließlich Männern vorbehalten. Theologinnen konnten lediglich ab 1927 als Vikarinnen an der Arbeit der Pfarrer teilhaben. Auch an der Barmer Bekenntnissynode von 1934 nahm nur eine Frau teil.

Veränderte sich dies im Nationalsozialismus? Während die „Deutschen Christen“ die betont soldatischen Männlichkeitsideale der neuen Machthaber übernahmen, wurde die Kirchenopposition für Frauen attraktiver. Auf dieser Themenspur kann man Frauen in der BK auf der Ebene der Gemeinden folgen: Welche Erwartungen richteten sie an Ihre Kirche? Fanden sie in neue Rollen hinein? Übernahmen sie neue Verantwortung, übten sie Kritik? Wann und wie waren sie bereit, Widerstand gegen den nationalsozialistischen Terror zu leisten, wenn sie – anders als männliche Amtsträger – keine Leitungsverantwortung hatten und ihr Wort weniger zählte? Gaben Sie Anstöße zu Fortschritten in der Kirche?

Einleitendes Zitat und Größenordnungen der BK: Manfred Gailus: Die mutigen Frauen in einer kirchlichen Männergesellschaft. Anmerkungen zur Frauen- und Geschlechtergeschichte am Beispiel des Berliner „Kirchenkampfes“, in: Wolfgang Benz (Hg.): Selbstbehauptung und Opposition: Kirche als Ort des Widerstands gegen staatliche Diktatur, Berlin 2003, S. 145-174, hier S. 154.

A: Traditionelles protestantisches Frauenbild

„Dagegen soll sie nicht allzuviel predigen / Das wird der Pfarrherr schon selbst erledigen“
(Aus: Karl Wilhelm Dietrich Vorwerk: Pfarrfrauenspiegel, um 1920)

Wie die meisten Bekenntnistheologen, hielt auch Martin Niemöller an traditionellen weiblichen Rollenvorstellungen fest, die die Pfarrfrauen den Gemeinden vorleben sollten. Die 1890 geborene Else Niemöller geb. Bremer folgte diesen Vorstellungen. Für eine Frau ihrer Zeit war sie überdurchschnittlich gebildet. Nach der Verlobung mit Martin Niemöller 1918 brach sie ihr Universitätsstudium jedoch ab und vertrat das Leitbild der christlichen „Gehilfin des Mannes“. Im Hintergrund begleitete sie sein Theologiestudium und half ihm maßgeblich bei der Abfassung von Texten und Predigten. Nach außen hin war sie fortan Hausfrau und Erzieherin der sieben gemeinsamen Kinder, die sie zwischen 1920 und 1935 zur Welt brachte.

Niemöller und Dibelius über die Rolle der Frauen in der Kirche

ergänzend zu: Ausstellungskapitel 01

Else Niemöller über die ersten Jahre als Pfarrfrau

ergänzend zu: Ausstellungskapitel 01 + Vitrine

Einladung an Ehefrauen inhaftierter Bekenntnispfarrer

ergänzend zu: Ausstellungskapitel 07

B: Berufe für Frauen im Bereich der Kirche

… und ihre Rolle in der Bekennenden Kirche

Frauen leisteten traditionell den überwiegenden Teil sozialer Betreuungsarbeit und gestalteten das Alltagslebens in den Gemeinden. Oftmals waren sie unbezahlt tätig, doch entstanden besonders in der kirchlichen Sozialarbeit auch Berufsfelder für Frauen. In Berlin gründete Pastor Johannes Burckhardt (1853–1914) im Jahr 1893 den „Vorstände-Verband der evangelischen Jungfrauenvereine Deutschlands“, der mehrmals umbenannt wurde und ab 1929 als „Evangelischer Reichsverband weiblicher Jugend“ tätig war. Im Rahmen dieser speziell an Mädchen und Frauen gerichteten kirchlichen Arbeit gründete Burckhardt 1893 in Berlin-Dahlem eine Ausbildungsstätte für Frauenberufe in der evangelischen Kirche. In einjährigen Kursen wurden dort examinierte Theologinnen in der Seelsorge zu so genannten Gemeindehelferinnen ausgebildet, ebenso schulte man „Reisesekretärinnen“ für die Betreuung und Koordination der diversen Einrichtungen in der kirchlichen Jugendarbeit. Das Haus in Berlin-Dahlem, Rudeloffweg 25-27 erhielt nach Burckhardts Tod den Namen „Burckhardthaus“.
Ab 1918 unterhielt das Burckhardthaus einen eigenen Verlag, der 1941 zwangsweise geschlossen wurde. Von 1928 bis 1938 wurde das Haus von dem Theologen Otto Riethmüller (1889–1938) geleitet, der sich der Bekennenden Kirche anschloss. Personal, Auszubildende sowie die Einrichtungen zur Jugendarbeit folgten diesem Kurs, so dass das Burckhardthaus neben der Kirchengemeinde eine weitere Stütze der Bekennenden Kirche in Berlin-Dahlem war.

Hulda Zarnack, Oberin des Burckhardthauses

ergänzend zu: Ausstellungskapitel 05.2. + 06.1

Das Burckhardthaus

ergänzend zu: Ausstellungskapitel 05.2. + 06.1

Endstation Vikariat?

Seit 1908/09 waren Frauen in Preußen zum Studium der Theologie zugelassen. Ab 1927 durften sie als kirchlich examinierte Vikarinnen ordiniert werden und den Pfarrern zur Seite stehen, blieben aber bis weit nach dem Zweiten Weltkrieg von höheren kirchlichen Ämtern ausgeschlossen. Durch die Abwesenheit der Pfarrer, die verhaftet oder im Krieg eingezogen wurden, erweiterte sich in der NS-Zeit auch der Aufgabenbereich der Vikarinnen. 1944 ordinierte der Berliner Bruderrat mehrere in der Bekennenden Kirche ausgebildete Vikarinnen zu Pfarrerinnen, deren Anerkennung durch die Amtskirche damals ohnehin nicht möglich war. Vikarinnen der Bekennenden Kirche standen schließlich an der Spitze der Bewegung zur Zulassung von Frauen zum Pfarramt, aber es dauerte noch bis in die 1950er, in manchen Landeskirchen weitaus länger, bis Frauen zum Pfarramt zugelassen wurden. Anfangs war die Ordination noch an die Bedingung geknüpft, ledig zu bleiben. Erst 1991 hatten alle Evangelischen Landeskirchen in Deutschland Frauen den Weg zum Pfarramt ermöglicht.

Einsegnung der Vikarin Ingeborg Becker

ergänzend zu: Ausstellungskapitel 06.1

C: Frauen aus den Laienkreisen mischen sich ein

… weil’s die Pfarrer eben nicht selbst erledigen

Die Brutalität nationalsozialistischer Verfolgungen beunruhigte einige Frauen in den bekenntnistreuen Gemeinden und Gemeindegruppen seit 1933 stark. Weitaus deutlicher als die Pfarrer in der innerkirchlichen Opposition, die eine Gratwanderung zwischen Aufbegehren im Amt und Verantwortung für das Gemeindeleben vollzogen, aber oft auch traditionelle Denkmuster vertraten, nahmen sie die menschlichen Nöte der Verfolgten des Regimes wahr, insbesondere die der jüdischen Familien. Gerade Frauen, die hochgebildet, theologisch geschult und oftmals alleinstehend waren, kamen angesichts der ausbleibenden Solidarität mit den rassistisch Verfolgten zu dem Schluss, dass es die Pfarrer eben nicht mehr „selbst erledigen“ konnten oder wollten. Als Berufstätige hatten sie bereits ihre Eigenständigkeit gelebt und sahen sich nun zum Einspruch aufgerufen. Vergeblich appellierten einige Frauen, auch aus der Dahlemer Gemeinde, an namhafte Theologen, dass die Bekennende Kirche öffentlich das Wort gegen die Judenverfolgung erheben möge. Im Laufe der Zeit riskierten sie immer mehr, um Verfolgten beizustehen und ihnen aktiv zu helfen.

Martin Niemöller an Elisabeth Schiemann, 1933

ergänzend zu: Ausstellungskapitel 03 + 07

Denkschrift von Marga Meusel, 1935

ergänzend zu: Ausstellungskapitel 05.2 + 07

Aus der Denkschrift von Elisabeth Schmitz, 1935

ergänzend zu: Ausstellungskapitel 05.2 + 07

Elisabeth Schmitz an Helmut Gollwitzer, 1938

ergänzend zu: Ausstellungskapitel 07

Elisabeth Schiemann an den Reichsfinanzminister

ergänzend zu: Ausstellungskapitel 07

D: Frauen in der Evangelischen Kirchengemeinde Berlin-Dahlem

… zwischen Gemeindearbeit und Widerstand

In einer Bekenntnisgemeinde waren die Übergänge zwischen Gemeindeaktivitäten und Opposition oft fließend. Dies galt insbesondere dann, wenn – wie in Dahlem – alle Pfarrer der Bekennenden Kirche angehörten und die „Deutschen Christen“ einflusslos waren. Wer aber an bekenntnistreuen Bibelgruppen teilnahm oder solche ausrichtete, die Kinder bei Bekenntnispfarrern konfirmieren ließ oder Schriften der Bekennenden Kirche weitergab, widersprach bereits den Ansprüchen der Nationalsozialisten auf ideologische Vereinnahmung und „Gleichschaltung“ aller Bereiche der Gesellschaft. Entsprechend ließen diese die Gottesdienste und Gemeindeaktivitäten in Dahlem geheimdienstlich überwachen. Dabei wurden auch die Namen einiger Frauen aktenkundig, in deren Häusern Bibelkreise stattfanden oder die die Arbeit der BK auf andere Weise förderten.
In besondere Gefahr brachten sich diejenigen, die die Arbeit der illegalen, im Verborgenen lehrenden Kirchlichen Hochschule der BK unterstützten, weil sie beispielsweise ihre Wohnungen als Unterrichtsräume zur Verfügung stellten. Im Jahr 1941 wurde der Lehrkörper der Berliner Kirchlichen Hochschule verhaftet. Das Sondergericht I beim Landgericht Berlin verhängte am 22.12.1941 Haftstrafen gegen etliche Dozenten und Unterstützende wegen verbotener Lehrtätigkeiten und der Abnahme illegaler Prüfungen. Unter den Angeklagten waren auch einige Frauen aus Dahlem und anderen Bekenntnisgemeinden, die den heimlichen Lehrbetrieb ermöglicht hatten.

Überwachungsberichte zu BK-Aktivitäten in Dahlem

ergänzend zu: Ausstellungskapitel 6.1

Das Haus von Maria Gerhard: Geheimbüro der BK

ergänzend zu: Ausstellungskapitel 5.2 + 08

Grete Michels

ergänzend zu: Ausstellungskapitel 6.2

E: Verfolgung, Widerstand, Flucht vor der Gestapo

… Balanceakt zwischen christlicher Pflicht und Illegalität

Christinnen und Christen jüdischer Herkunft waren in Dahlem – anders als in den meisten protestantischen Kirchengemeinden im Nationalsozialismus – niemals von den Gottesdiensten und dem Gemeindeleben ausgeschlossen. Ihre Not unter der nationalsozialistischen Verfolgung war Pfarrern und aktiven Gemeindemitgliedern daher präsent. Spätestens ab 1938 unterstützten Helmut Gollwitzer und einige Frauen aus seinem Helferkreis die Bedrängten in vielfältiger Weise. Nachdem ab Herbst 1941 die Deportationen begonnen hatten und sich die Anzeichen mehrten, dass an den Zielorten Massenmorde im Gang waren, entschlossen sich einige mutige Frauen zu riskanteren Hilfen und verbargen Verfolgte in ihren Wohnungen. Sie halfen sowohl Getauften als auch Angehörigen der jüdischen Religionsgemeinschaft.

Überleben im Versteck: Andrea und Valerie Wolffenstein

ergänzend zu: Ausstellungskapitel 7

Annemarie Hirsch über ihre Verfolgung und Rettung

ergänzend zu: Ausstellungskapitel 9

Interview mit Cioma Schönhaus

ergänzend zu: Ausstellungskapitel 9

F: Die Würdigung widerständiger Frauen aus der Dahlemer Gemeinde in der Nachkriegszeit

Nach dem alliierten Sieg über den Nationalsozialismus war die Würdigung des Widerstands in Deutschland nicht selbstverständlich. Noch Jahrzehnte nach Kriegsende stießen ehemalige Widerstandskämpfer und Ihre Familien sowie Verfolgte des NS-Regimes in der Bundesrepublik auf Skepsis und Ablehnung. In der DDR wurde fast ausschließlich der kommunistische Widerstand gewürdigt. Es dauerte bis in die 1980er Jahre, bis die Breite des Widerstands in Westdeutschland anerkannt, öffentlich dargestellt und geachtet wurde. Insbesondere der Schutz Verfolgter– eine mehrheitlich von Frauen geleistete Widerstandsform – widersprach dem Narrativ der deutschen Nachkriegsgesellschaft, dass niemand etwas von den Verbrechen des NS-Regimes hat wissen oder ihnen entgegentreten können. So wurde die Ehrung derjenigen, die verfolgten Jüdinnen und Juden beigestanden hatten, mehrheitlich von den Verfolgten selbst initiiert: In Berlin durch die Ehrungsinitiative des Senats für „Unbesungene Helden“ von 1958 bis 1966 und vor allem durch den Staat Israel. Einige wenige Helferinnen und Helfer erhielten auch das Bundesverdienstkreuz sowie andere Auszeichnungen. Im Berliner Stadtbild erinnern mehrere Gedenktafeln sowie Straßen- und Gebäudenamen an diese mutigen Menschen.

Der Staat Israel mit der Gedenkstätte Yad Vashem entschied sich 1962 zur Ehrung von Menschen aus ganz Europa, die verfolgte Jüdinnen und Juden vor den nationalsozialistischen Massenmorden geschützt haben. Wenn ihre Hilfen belegbar sind, werden sie als „Gerechte unter den Völkern“ (hebräisch:חסיד אומות העולם | Chasidei Umot Ha-Olam) mit einer Medaille und einer Urkunde ausgezeichnet, die auch heute noch an Nachfahren überreicht werden. Auf der Medaille steht ein Satz aus dem Talmud: „Wer ein Leben rettet, rettet eine ganze Welt“. Mehrere Frauen aus der Dahlemer Kirchengemeinde wurden von Yad Vashem ausgezeichnet: 1983 Helene Jacobs, sowie erst posthum im Jahr 2000 Hildegard Schaeder, 2011 Elisabeth Schmitz und 2014 Elisabeth Schiemann.

Gedenktafeln für Helene Jacobs in Yad Vashem und Berlin

ergänzend zu: Ausstellungskapitel 9

Ehrung von Elisabeth Schiemann als „Gerechte unter den Völkern“

ergänzend zu: Ausstellungskapitel 7

Gedenktafel für Elisabeth Schmitz

ergänzend zu: Ausstellungskapitel 7

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ap. 6.1 | S. 48 DE | S. 39 KS